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Dienstag, 25. Oktober 2016

Ins Theater gelockt - Wir Hungerkünstler. Wir Hungerkünstlerinnen, Theaterbrett, 24.10.2016

Ich bin kein großer Theatergeher, aber gestern wurde ich von "The Ghost And The Machine" ins Theater gelockt. Ich habe es nicht bereut. Es war kein "Wohlfühltheater", schmerzhaft und drastisch, aber auch voller poetischer Momente und starker Bilder, offen für Interpretationen, über die ich noch lange nachdenken werde. Und es war nie langweilig. 

Dass es sich um kein traditionelles Theaterstück handeln würde, war mir schon aus der ersten Beschreibung klar. Das Stück von Jakub Kavin thematisiert die oft triste Situation der vielen KünstlerInnen der freien Szene in Wien, die Ausbeutung ihrer Leidenschaft, der sie ausgesetzt sind, aber auch die Selbstausbeutung, die demütigenden Castings, die zahllosen und oft als willkürlich empfundenen Förderabsagen. Und auch wenn ein Projekt einmal zustande kommt, sind die Gagen oft so gering, dass es zum Leben nicht reicht, manchen in den Hunger treibt. Und trotzdem lässt die Kunst die KünstlerInnen nicht los.

Tatsächlich beginnt das Stück schon beim Eintreffen im "Theaterbrett". Einige der Gestalten aus dem Stück mischen sich schon im Foyer unter das Publikum, die einen auffällig wie Mephisto, der rastlos auf und ab geht, die Musikerin, die einsam am Bass zupft, die anderen zuerst gar nicht als Mitspieler erkenntlich. 

Dieses Konzept der Vermischung von Realität und Theater zieht sich durch den ganzen Abend. Als eine der Inspirationen für das Stück hat Uwe Mauchs Sozialreportage "Die Armen von Wien" gedient, und er selbst zitiert daraus - gleich nach dem Auftritt des Augustin Stimmgewitters - am Beginn der Vorstellung. Während er noch liest, betreten andere Figuren die Bühne, der hungernde Künstler - die Hauptperson - der von drei Personen verkörpert wird, Vincent Van Gogh, Beethoven oder Romy Schneider, alles KünstlerInnen, die in ähnlicher Situation waren. MusikerInnen, SchriftstellerInnen, bildende Künsterlinnen, SchauspielerInnen. 
Insgesamt bewegen sich dann gut fünfundzwanzig Darsteller auf der Bühne, die sich zu Gruppen zusammenfinden, posieren, dann wieder auseinanderfallen und zu neuen Bildern zusammenfinden. Eine phantasievolle Choreographie, manchmal weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Langsam entwickeln sich Szenen daraus, ein Casting findet statt, bei dem sich - obwohl unbezahlt - weit mehr Bewerber einfinden als gebraucht werden, zynisch wird ausgesiebt, und auch die, die genommen werden, sind nicht zu beneiden, müssen praktisch rund um die Uhr für Proben zur Verfügung stehen, oder auch das Theater putzen, wenn es verlangt wird. Ein trauriger Clown teilt Plastikblumen aus, die Geliebte wird ihm von einem französischen Pantomimen ausgespannt - Oh lala! - und Mephisto, der Geist, der alles verneint, lässt ihm nicht einmal den versuchten Selbstmord durchgehen.  Es ist ein Kaleidoskop an poetischen, surrealen, traurigen, aber auch drastischen Szenen und Bildern, die kunstvoll ineinander verwoben werden, und es wird mit allen Mitteln des Theaters gearbeitet.
Viele der Szenen beschäftigen mich noch immer, und es fallen mir immer neue Deutungsmöglichkeiten ein. Besonders berührt hat mich am Beginn der zweiten Hälfte, als sich Ludvik Kavin, der Vater des Autors und einer der Begründer des Vereins Theaterbrett und des Spielortes hier, direkt ans Publikum wendet und seine Geschichte von der Flucht aus der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich, seine ersten Theaterarbeiten in Österreich und Westeuropa und seine Erfolge mit dem Theaterbrett erzählt. Nie habe er den Glauben an das Theater, seine Kunst verloren, auch jetzt nicht, aber in den letzten Jahren habe sich die Situation für die freie Theaterszene in Wien u.a. durch Subventionskürzungen dramatisch verschlechtert. Ans Aufgeben denke er aber auch jetzt in der Pension nicht.

Nach der Pause werden die Bilder immer bedrückender, brutaler, der Hunger größer und alles dominierend, die Darsteller wälzen sich in Krämpfen auf dem Boden, vesuchen, die zahllosen Förderabsagen zu essen, nur um sie dann wieder auszuspucken. Vielleicht flüchten sie auch in den Wahnsinn oder in ihre Kunst, viel anderes bleibt ihnen nicht, die Szenen aus Knut Hamsuns Roman "Hunger" (einer der anderen Inspirationsquellen für das Stück) gewinnen die Oberhand, ergreifen von der Hauptperson Besitz, werden ausführlich ausgespielt, bis nichts mehr geht und das Licht ausgeht. 

"The Ghost and The Machine" erwarten uns im Foyer und begleiten uns mit ihrer Musik wieder zurück in unsere eigenen Leben. An manchen Tagen spielen sie länger, manchmal werden sie in längere Gespräche über ihre Musik oder ihre Instrumente verwickelt; auch sie auf dem langen Weg, die Kunst zu ihrer Lebensgrundlage zu machen.