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Sonntag, 26. Januar 2020

Friends of Humanity - Double Feature: Liberation Orchestra / Ocean Mole! 24.1.2020

Liberation Orchestra
Trotz großer Konkurrenz (ich sage nur Spitting Ibex im ausverkauften Porgy und Bess) habe ich mich am Freitag entschlossen, das Liberation Orchestra im Fania Live anzusehen. Schon 2019 hatte ich sie auf meinem Radar, aber da ging es sich nie aus. Aber davon später.




Ocean Mole
Da es sich um ein Double Feature handelte, standen zuerst einmal Ocean Mole auf dem Programm. Ein kurzer Social Media Check verriet mir: Prog Rock! Ein Genre, bei dem ich zugegebenermaßen nicht auf der Höhe der Zeit bin, ich verbinde damit die frühen Genesis, Yes, King Crimson. Um es gleich vorwegzunehmen, ich habe tatsächlich Anklänge an diese Bands gehört, auch wenn ich nicht weiß, ob das für junge Bands heute ein Kompliment ist, so ist es gemeint. Extreme Dynamikwechsel, längere, komplexe Instrumentalparts, ausgefeilte Rhythmuswechsel, ungewöhnliche Gitarren und Keyboardsounds, Harmoniegesang - das ist alles vorhanden, allerdings in härterer Gangart als damals.
Der Sänger konnte seinen Hang zur Theatralik ausleben, so dass auch die Showelemente nicht zu kurz kamen. Der zwischendurch eingebaute "Witcher" Song passte gut ins Gesamtkonzept und erhöhte den Unterhaltungswert noch einmal. Als Belohnung kam Damenunterwäsche auf die Bühne geflogen, was man heute auch nicht mehr so oft sieht.



Manches wirkte zwar noch ungeschliffen und subtilere Passagen gingen in der Gesamtlautstärke etwas unter, aber insgesamt zeigte die Band, dass sie genaue Vorstellungen hat, wo sie hin will, und es lohnt sich, auf diesem Weg dabei zu sein.
Nach einer kurzen Pause - erstaunlich kurz wenn man bedenkt, dass nun 11 Musikerinnen auf und auch neben der Bühne stehen würden - begann der Auftritt des Liberation Orchestras, der eine Verschmelzung von Jazz, Klassik, Alternative Rock und Worldmusic verspricht. Bands mit ähnlichen Konzepten habe ich in den letzten Jahren einige gehört, und es ist immer spannend, wie diese Ideen umgesetzt werden. Entsprechend gespannt war ich auf das Konzert.
Liberation Orchestra
Schon der Aufbau mit Notenpulten zeigt, hier stehen die Kompositionen des Gründers und Leiters Ron Oppenheim im Mittelpunkt. Mit Leben erfüllt werden sie von 11 hervorragenden Musikerinnen.  Wenn sie zum Einsatz kommt, dominiert natürlich die Sopranistin das Klangbild, einfach weil die Kombination von Rockelementen und klassischem Soprangesang doch nicht alltäglich ist.

Im einzigen Instrumentalstück des Sets gibt es Freiraum für improvisierte Soli einzelner InstrumentalistInnen, sonst sind die Stücke soweit ich das beurteilen kann ziemlich durchkomponiert, und zwar sehr effektiv. Keine Sekunde kommt Langeweile auf, es werden alle Möglichkeiten, die ein derartig vielfältiges Ensemble bietet, ausgenutzt und auch eingesetzt. Der Dynamikumfang ist groß, ruhige Passagen wechseln mit explosiven Teilen ab, der Bass wummert, die Bläser setzen Akzente, verzerrte Gitarrenläufe gehen über in fließende Keyboardmelodien.
Die Kompositionen sind aber nicht auf Effekthascherei aus, sondern nutzen die Möglichkeiten aus, um die Inhalte in Musik umzusetzen: Es geht um (Selbst)befreiung, Überwindung von Grenzen, den besorgniserregenden Zustand der Welt und die Politiker, die damit spielen.
Ron Oppenheim selbst dirigiert aus dem Halbdunkel des Zuschauerraumes. Er geht dabei rastlos auf und ab, wirft die schon gespielten Notenblätter auf den Boden, springt in die Luft und holt mit energischen Handbewegungen das Letzte aus den MusikerInnen heraus. Ein großer Abend, und das zahlreiche Publikum ist begeistert. Ich denke, das wird nicht mein letztes Konzert des Liberation Orchestras gewesen sein!