Fieber und Bettruhe haben mir die Gelegenheit geboten, über eine Frage nachzudenken, die mir mein Sohn umlängst gestellt hat:
"Du hörst jeden Tag was anderes. Hast du eigentlich auch einen eigenen Musikgeschmack?" So nach dem Motto: "Gefällt dir eigentlich jeder Sch...?"
Könnte fast sein. Oh ja, es gibt ein sicheres Territorium, das irgendwo zwischen Bob Dylan, Patti Smith, Bruce Springsteen und David Bowie liegt. Das Fundament sozusagen, auf dem alles aufgebaut ist. Patti Smith kam als letztes dazu Mitte der Neunziger, der Rest steht schon seit Jugendzeiten. Aber darüber hinaus habe ich mich schon immer für viele andere Musikrichtungen interessiert, aus den unterschiedlichsten Gründen. Nur ging es damals gemächlicher ab, es gab ja nicht den unmittelbaren Zugriff auf die Musik der ganzen Welt per Internet. Mit Jazz zum Beispiel kam ich schon in den achtziger Jahren in Berührung, Einstiegsdroge Sade und Working Week, aber beim Jazz Festival in Hollabrunn sah ich auch noch Miles Davis, die Lounge Lizards und Astor Piazolla. Das ging ja dann auch schon in Richtung Weltmusik, wo ich zaghaft den Fährten von Sting und Peter Gabriel gefolgt bin. Es war halt immer so, dass mein Interesse immer schneller von etwas Neuem geweckt wurde, bevor ich bei einer Musikgattung in die Tiefe gehen konnte oder wollte. Aber vergessen habe ich eine Musik nie, mit der ich mich einmal beschäftigt hatte. Nach ein paar Monaten oder Jahren kam ich wieder darauf zurück, und baute darauf auf. Die Oper wurde eine späte Liebe, einerseits ausgelöst durch Patti Smith, die immer wieder von ihrer Liebe zur Oper gesprochen hat, und andererseits durch Anna Netrebko, die ich in der La Traviata Fernsehübertragung sah. Eine Zeit lang dachte ich fast, ich würde nichts mehr anderes hören müssen, aber auch diese Zeit ging vorbei.
Seit ich vor zwei Jahren begonnen habe, öfter zu Live Konzerten in Wien zu gehen, hat sich diese Neugier, diese Unstetigkeit noch intensiviert. Denn einerseits ist das Angebot an guter Musik aller Richtungen nahezu unerschöpflich, andererseits gefällt mir live noch viel mehr, als ich auf CD jemals hören würde, da steckt so viel Kreativität dahinter, so viel Lebensenergie, da ist so viel mehr im Raum als nur Musik. Musiker lächeln einander zu, reagieren aufeinander und auf das Publikum, manches klappt, manches nicht, aber es wird gemeinsam erlebt. Und es gibt so viele interessante, kreative und faszinierende KünstlerInnen, die hier arbeiten, und man kann auch mit ihnen reden! Man kann sie ein Stück begleiten und sich bedanken für die einmaligen und schönen Momente, die man mit ihnen und durch sie erleben darf!
Es hat mich schon immer etwas gestört, dass ich nirgendwo wirklich zum Experten geworden bin, nirgends dazugehöre. Ich kann Musik nicht mit dem Gehirn erfassen. Ich kann nicht beurteilen, ob die Arie vor einem Jahr besser gesungen wurde. Ich merke mir Titel von Jazz Standards nicht, ich weiß nur, das habe ich schon mal woanders gehört. Ich weiß, das mit einiges gefällt, was objektiv gesehen wahrscheinlich unterste Schublade ist. Ich weiß auch, dass ich wenig Zugang zu Musik in deutscher Sprache habe, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Vielleicht kommt auch das noch, wer weiß. Mein Geschmack wird nicht treffsicherer oder kritischer urteilend werden.
Aber ich denke, das entspricht mir eben so. Und gibt noch viel zu viel zu entdecken und viel zu wenig Zeit dafür, um mir Gedanken darüber zu machen. Außer mit Fieber und Bettruhe.