Sonntag, 16. August 2020

Der Wiener Oud-Spieler - Orwa Saleh Teil 2

 

Orwa Saleh erinnert sich noch gut an seine erste Begegnung mit Basma Jabr.   

“So wie ich selbst ein paar Jahre davor suchte sie Musiker*innen, mit denen sie hier arbeiten konnte, und sie rief mich an. Wir kannten uns nicht persönlich, hatten aber viele gemeinsame Freunde. Ich war gerade auf dem Weg nach Wien, weil ich von dort mit Christoph Cech zu Konzerten in den Iran fliegen sollte. Ich sagte ihr: “Okay, wir können uns unter einer Bedingung treffen: Ich komme etwas früher nach Wien und esse bei dir. Ich vermisse nämlich gutes syrisches Essen…” Sie fragte nur: “Was willst du essen?” Ich weiß nicht mehr, was sie kochte, aber es war etwas sehr Schwieriges, so schwierig wie Gulasch. Ich traf dann ihre Familie und wir sprachen miteinander. Als ich aus dem Iran zurückkam lud ich Basma ein, mit uns in Innsbruck und Waidhofen/Thaya zu singen. Das war 2015, und 2016 zog ich schließlich nach Wien.”

Newruz Fest Brunnenpassage 2018
mit Basma Jabr, Newruzfest Brunnenpassage 2018


“Um zu verstehen, was Basma tatsächlich mit mir gemacht hat, muss man wissen, dass ich 2015 fest davon überzeugt war, dass syrische Musik keinen Text braucht. Ich wollte keine Texte, ich dachte nicht an Texte. Und jetzt 2020 sitze ich zu Hause und schreibe meine eigenen Songs mit eigenen Texten. Das ist Basmas Effekt! Sie zeigte  mir einen neuen Zugang zum Gesang. Sie hatte diese erstaunlichen stimmlichen Fähigkeiten, war motiviert, flexibel und wollte immer etwas Neues lernen. Als sie mit mir zu singen begann, war es noch ein Problem für sie zu improvisieren, aber jetzt, nach all den Jahren, leitet sie die Soli und ich folge ihr tapfer.”

“Das erste Mal, als nur wir beide einen Song auf der Bühne spielten, war bei einem Konzert mit “Ruh”. Vielleicht brauchten wir an diesem Abend etwas Spezielles, vielleicht genau diese Melodie. Das war so fein, das führte schließlich zur Formation des Duos und zum aktuellen Album.” 

“Wir begannen mit Sufi-Gedichten, die ich mochte. Die Art, wie Basma diese Gedichte interpretierte, war erstaunlich und eröffnete mir eine neue Sichtweise.  Sie veränderte auch die Art, wie ich komponierte,  ich begann, neue Dinge zu probieren, die gut zu singen sind. Egal was ich schreibe, ich denke immer, wie das wohl klingen wird, wenn Basma es singt." 

Porgy and Bess 2018, mit Mahan Mirarab, Sebastian Simsa, Basma Jabr, Peter Herbert, Gerhard Reiter, Mona Matbou Riahi 


"Auch mein Interesse an traditioneller Musik wurde dadurch geweckt, ich forsche jetzt selbst nach, beschäftige mich mit traditionellen Songs und Texten. Dadurch bekam ich eine neue Sicht der Geschichte meiner Region, basierend auf diesen traditionellen Songs. Ich habe ja erzählt, dass ich keine traditionelle Musik spielte, weil ich sie nicht mochte. Mit Basma realisierte ich, dass diese Musik trotzdem in meinem Hinterkopf lebt, ob ich jetzt will oder nicht. Aber ich spiele sie, wie ich sie sehe, auf meine Art. Das war nicht immer für alle akzeptabel. Ich bekam eine Menge schlechtes Feedback. “Was zur Hölle machst du da? Das ist nicht gut, das ist kein richtiges Oud Spiel!” Aber letztendlich ist es meine Sicht, so fühle, liebe und lebe ich!”

Das (vorläufige) Ergebnis dieser Zusammenarbeit, das Album “The Songs We Still Remember” präsentierten Basma Jabr und Orwa Saleh schließlich live im Oktober 2019  bei der Eröffnung des “Salam Orient” Festivals im ausverkauften “Porgy und Bess”, Basel Rajoub war als Gast auf der Bühne. 

 Obwohl das Album eine lange Entstehungsgeschichte hat, wurde es in kürzester Zeit aufgenommen.

“Es war nicht einmal geplant, die CD aufzunehmen. Wir sagten uns zwar immer, wir müssen endlich ein Album machen, aber es wurde nie etwas daraus. Ich habe meine Höhen und Tiefen, manchmal bin ich motiviert, manchmal nicht. Aber als wir diese Gelegenheit bekamen, das Festival zu eröffnen, zwangen wir uns dazu, es endlich durchzuziehen. In zwei Monaten waren wir im Großen und Ganzen fertig. Wir jammten zusammen, ich hatte da eine Idee und dort und schrieb ein bisschen was auf, aber in die richtige Form brachten wir die Songs, als wir beide in der Küche saßen. Ich rauchte die ganze Zeit, was Basma gar nicht recht war, weil sie ja singen musste. Da es aber ohnehin Sommer war, öffneten wir die Fenster und alle Nachbarn konnten mithören! Natürlich haben sich die Songs seitdem bei vielen Konzerten verändert und weiterentwickelt, aber wir sind noch immer glücklich, dass wir die Aufnahmen gemacht haben.” 

Porgy and Bess 2019, CD-Präsentation
CD-Präsentation im Porgy and Bess 2019

Auch wenn auf vielen der Songs des Albums das Gefühl des Verlustes der Heimat, der eigenen Vergangenheit spürbar ist, ist von Nostalgie keine Spur zu finden. Die Sängerin und der Oud-Spieler verwenden zwar Teile traditioneller Lieder oder auch populärer Schlager wie “Bint El Shalabiya” , reduzieren sie aber auf das Wesentliche und setzen sie neu zusammen, erfinden sie neu. In ihrer Konzentration und Kompaktheit erinnern mich die Aufnahmen manchmal an die ersten “American Recordings” von Johnny Cash. Basma Jabr drückt mit ihrer Stimme Gefühle aus, die keinen Namen brauchen, es genügt, sich ihnen hinzugeben. Orwa Saleh geht auf der Oud über jeden traditionellen Ansatz hinaus, vermischt arabische Skalen mit rockigen Riffs, kann das Instrument zärtlich streicheln oder leidenschaftlich zupacken. 

“Der Song “Home / Black Hole in the 7th” ist einer der wenigen, der Teile eines offiziellen Gedichts als Grundlage hat, von Mansur Al-Hallaj, wo es heißt: “Deine Seele und meine Seele sind zu einer verbunden wie Wasser und Wein verbunden sind. Wann immer dich etwas berührt, berührt es mich auch, so bin ich du”. Üblicherweise wird das als Beschreibung der Liebe zu Gott interpretiert, aber wir versuchen, es anders zu sehen, auch im Video, als Gedanken über Furcht, mit der wir glauben, alleine zu sein."

"“Arabs” wiederum hat zwei Sätze, die nicht zu einem bestimmten Song gehören, aber sie sind schon irgendwann in Songs gesungen oder gesprochen worden. Sie scheinen unserem Kollektivgedächtnis zu entspringen. “Rumman” ist ein traditionelles irakisches Lied, “Hal Asmar Ellon” ebenfalls. Jeder Song kommt aus einem gemeinsamen Vorrat an Erinnerungen. Wie ich schon erzählte, Basam öffnete dieses Tor zu meinen Erinnerungen, die ich immer zu verbergen versuchte. Sie erlaubt mir, mich musikalisch in dieser Art auszudrücken. Wir sammelten Erinnerungen, die nicht unbedingt zusammenhängen. Es sind Splitter von Erinnerungen, die noch immer in uns lebendig sind.” 

Trio MIT, Porgy and Bess 2019
Trio MIT, Porgy and Bess 2019, mit Christoph Cech und Andreas Schreiber

Neben dem Duo betreibt Orwa Saleh auch andere musikalische Projekte, unter anderem das Trio MIT (Musik in Touch) mit Christoph Cech und Andreas Schreiber sowie das Orwa Saleh Ensemble mit Judith Ferstl, Mahan Mirarab, Sebastian Simsa - und Basma Jabr.

Eine der letzten Auftritte, die ich vor dem Corona Lockdown besucht habe, war die Geburtstagsfeier von Orwa Saleh im “Replugged”, einem geräumigen Kellerlokal in Wien, oft von Hardrockbands frequentiert. Auch das Orwa Saleh Ensemble zeigte sich von seiner rockigen Seite. Mahan Mirarabs Finger glühten auf beiden Hälsen seiner Gitarre, und Orwa Saleh bearbeitete die Oud fast wie Jimi Hendrix seine Fender Stratocaster. Über hundert Gäste tanzten und jubelten in Ekstase. Der Musiker strahlt noch immer, wenn er sich daran erinnert.

Replugged 2020
Geburtstagskonzert mit Orwa Saleh Ensemble, Replugged 2020

“Das war ein gewagtes Unternehmen! Ich wollte schon lange so ein Projekt mit meiner Band machen, diesen Effekt, diese Energie der Rockmusik, mit der ich aufgewachsen bin, die ich fühle, verbinden mit meiner Tradition, die ich liebe. Die Art, wie wir die Stücke mit der Band spielten, kam den Gefühlen, die ich in mir habe am nächsten. Schließlich bin ich diese Mischung, dieser Typ, der aus Syrien kommt, Rockmusik hört und in Europa spielt. Ich lebe nicht in einem orientalischen Palast, dass ich nur traditionelle orientalische Musik spielen könnte. Auch die meisten österreichischen Musiker spielen nicht nur Klassik. Natürlich gibt es welche, die auf eine Art Musik spezialisiert sind, aber es gibt auch Rockmusik, Schlager, Jazz  - das ist die Art, wie ich mir das vorstelle. Genau das sollte auch mit der Oud möglich sein.” 

Allerdings bedarf es für den Musiker dazu neuer Entwicklungen und höherer Standards im Instrumentenbau. 

“Ich denke, das Instrument wurde lange nicht so weiterentwickelt wie andere Instrumente. Dabei hat sich gezeigt, dass die Oud nicht mehr einfach ein lokales Instrument ist, sondern spätestens seit den 90er auf allen wichtigen Jazzfestivals vertreten ist, sie ist populärer als viele andere orientalische Instrumente. Es gibt keine einheitlichen Standards, es gibt nicht einmal eine Studienrichtung, die sich damit auseinandersetzt. Als ich in Syrien an der Universität studierte, konnte man als zweites Fach auch ein Fach wählen, in dem Instrumentenbau und -reparatur gelehrt wurde, aber nur für Piano und Blechbläser, nichts für die Oud. Es ist ein institutionelles Problem. Natürlich gibt es in Syrien hervorragende Instrumentenbauer, man kann sich auch die Oud speziell anfertigen lassen, aber das sind Einzelstücke. Das Qualitätsniveau gehört generell angehoben, für alle!”

Oud
Orwa Salehs Oud

“Ich beschäftige mich natürlich selbst damit und habe ein paar Lösungen entdeckt, besonders im Hinblick auf Tonabnehmer, Mikrofonierung, Stimmung -  aber es ist kein abgesichertes Wissen, nur Erfahrung. Ich spiele zum Teil im Stehen, das ist neu und der Gurt ist für die Oud seltsam. Es ist eine Herausforderung, aber für manche Songs ist es gut. Es gibt mir die Freiheit, mich zu bewegen, mehr Elemente in meine Musik zu integrieren. Das Aufstampfen auf den Boden ist ein offizieller Teil meiner Komposition! Ich war total nervös, als ich das erste Mal im Stehen spielte. Diese Freiheit brauche ich, diese Freiheit braucht meine Musik. Ich denke in syrischen, arabischen Texten und Musik, aber ich denke auch in Rockriffs. Ich gehöre jetzt zur europäischen Kultur, zur europäischen Musik. Ich lebe nicht nur hier, ich gehöre auch hierher. Hier ist fast mein Zuhause.”

Ich denke an den Beginn unseres Gesprächs zurück. “Das freut mich, dass du so empfindest, ich dachte - “

“Manchmal sagst du dir, dass du keine Heimat hast, dass du jederzeit weiterreisen kannst. Aber das ist zum Selbstschutz. Wie jede andere Syrerin, wie jeder andere Syrer hatte ich dieses Erlebnis, meine Heimat für immer verlassen zu müssen. Ich weiß, wie schmerzhaft das ist. Darum ist es nicht leicht, diesen neuen Platz als Heimat zu betrachten, egal, wie glücklich du vielleicht bist. Manchmal ist es auch ein Schutz, wenn du in Situationen kommst, in denen dich Menschen rassistisch behandeln - wobei ich nicht sagen will, dass in Österreich mehr Rassisten sind als anderswo, in Syrien gibt es genug.  Instinktiv schützt du dich selbst, indem du dir einredest, das ist nicht dein Zuhause, du kannst jederzeit von vorne anfangen.  Weil du Angst hast, wieder alles zu verlieren. Weil du diesen Verlust nicht noch einmal aushalten würdest.”

Mariahilferstraße 2019

“Wie jede Beziehung hat auch die Beziehung zu Städten Höhen und Tiefen, manchmal hasst du sie, manchmal ist es hart und einsam. Aber wenn du weg bist, dann vermisst du Wien, egal was war. Du vermisst die Straßen, du vermisst die Nachbarschaft, du vermisst die Menschen.  Zu meinem Geburtstag konnte ich einen Club füllen und kannte mehr als die Hälfte der Gäste!  Ich werde eingeladen als Teil der Wiener Szene in Theatern zu spielen. Ich wurde sogar schon ein “Wiener Oud-Spieler” genannt, kannst du dir das vorstellen? Ich war fast schockiert!  Freund*innen kommen regelmäßig zu meinen Konzerten, wir sprechen miteinander, sie kennen mich und ich kenne sie. Das ist ein Gefühl, das dir Sicherheit gibt. Wenn das nicht Heimat ist, was dann?”

Geburtstag Replugged 2020

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