Montag, 12. Dezember 2016

Drei Stunden Musik sind nicht genug! "Contemporary Folk- und Chanson Night" im Cafe7Stern, 8.12.2016

David Howald
Ich habe mir einen Platz neben der Bühne gesichert und beobachte, wie das Cafe7Stern-Wohnzimmer immer voller wird. Es sind hauptsächlich junge Leute hier (jünger als ich jedenfalls), aber nicht nur.  Ein gutes Zeichen für die "Contemporary Folk- und Chanson Night", eine Veranstaltungsreihe, die zumindest seit dem Sommer läuft. 


Es ist nicht die einzige Veranstaltungsreihe dieser Art, aber im Moment wohl die aktivste. Drei Acts treten jeweils auf mit einem Set von ungefähr einer Stunde. Die KünstlerInnen bringen jeweils ihr eigenes Publikum mit; soweit ich das aus den Gesprächen mitbekomme, sind jedoch auch viele ZuhörerInnen da, die einfach neugierig sind und neue Musiker kennenlernen wollen. Auch ein Zeichen dafür, dass sich eine tragfähige Singer/Songwriterszene in Wien etabliert. Das ist gut für die Künstler, die ein interessiertes, offenes Publikum brauchen. 
David Howald

Der Abend startet stark mit dem Auftritt von David Howald, der mich in seiner Intensität und seiner Art zu singen an  Jeff Buckley mit tieferer Stimme erinnert. Er wimmert, schreit, lässt seine Stimme zu überraschenden Höhen aufsteigen.  Seine der dunklen Seite der menschlichen Gefühle zugeneigten Songs interpretiert er mit einem Schuss Theatralik; nein, das ist kein schüchterner Junge mit Gitarre, das ist ein selbstbewusster Künstler, der weiß, was er ausdrücken will und seine Mittel bewusst und gekonnt einsetzt. Die Stimme ist dabei sein drittes Instrument. Ist sein Gitarrespiel eher funktionell-effektiv, so kann er am Klavier mit kraft- und fantasievollem Spiel auftrumpfen. Bei den Zwischenansagen sorgt sein trockener Humor - und vermutlich auch sein für Wiener Ohren ungewohnter Schweizer Dialekt - für zahlreiche Lacher. Eine echte Entdeckung für mich. Ein Sänger, den ich gerne öfter sehen will.
Blinded by Stardust

Die nachfolgenden "Blinded by Stardust" haben es nach einem derart intensiven Auftritt schwer. Noch dazu haben sie mit Soundproblemen zu kämpfen, die Violine ist praktisch nicht über den Verstärker zu hören. Es dauert einige Nummern, bis sie durch Zurücknahme der anderen Instrumente einen Raum für die Violine erspielt haben,  aber dann steigert sich die Gruppe von Song zu Song und entwickelt die Sogwirkung, die ich an ihren Auftritten kenne und liebe. Ihre Musik ist zwischen modernem Folk und Rock angesiedelt, ungefähr dort, wo sich auch die frühen Mumford and Sons herumgetrieben haben. Charakteristisch ist vielleicht das Fehlen eines Basses, so dass die Songs zerbrechlicher, fragiler wirken, ohne ihre Kraft zu verlieren. Mit "Cleared and Removed" steuern sie auf den Höhepunkt zu, gerade weil die schönen Momente jederzeit vorbei sein können, müssen wir sie genießen und unser Glück weitergeben. 



Blinded by Stardust
"Speaking Silences" muss sich nicht mit kaputten Kabeln herumschlagen, wegen der fortgeschrittenen Stunde muss er unverstärkt spielen und singen. In seinem Fall muss man eher sagen: Er "darf" unverstärkt spielen, denn das immer noch zahlreich vorhandene Publikum lauscht umso konzentrierter jedem seiner Worte. In der ersten Reihe flüstern Fans seine Worte mit. Er entspricht mit seinen leisen, nachdenklichen Songs am ehesten dem Bild eines Folksängers, und verweist damit auch auf die Wurzeln des Genres, ohne die Gegenwart aus den Augen zu verlieren. 


Speaking Silences
Als "Speaking Silences" seine Gitarre für heute endgültig weglegt, haben wir drei Stunden Musik gehört, die sich in keiner Stadt der Welt verstecken muss, wurden unterhalten, mitgerissen, haben gelacht und gelitten und haben immer noch nicht genug. Aber die nächste Contemporary Folk- und Chanson Nacht kommt bestimmt.
Speaking Silences