Sonntag, 2. April 2017

Das Konzert, das mich nicht ausschlafen lässt - Dobrek Projekt im Orpheum

Krysztof Dobrek
Heute (Sonntag!) wache ich um sechs Uhr in der Früh auf, weil mir die Eindrücke des gestrigen Abends nicht aus dem Kopf gehen, weil mein Kopf voll neuer Melodien und fremder Sprachen ist, weil mir so viel einfällt, was ich näher kennenlernen will, über das ich schreiben will, in Worte fassen will. 




Zum Beispiel über das Orpheum. Obwohl ich in letzter Zeit oft auf Konzerten war, war ich noch nie im Orpheum, Schauplatz legendärer Kabarettauftritte und der noch legendäreren Geheimauftritte von Kurt Ostbahn. Ich hätte schwören können, dass der Saal schon zum Fin de siecle errichtet worden war, man fühlt sich in ein Pariser Variete versetzt, mit Toulouse Lautrec am Nachbartisch. Daran sind die jugendstilartigen Wandverkleidungen, die dunkle Holzvertäfelung und die an alte Straßenlaternen erinnernde Beleuchtung schuld. Tatsächlich wurde der Saal als Kino 1957 errichtet und war schon mehr als einmal vom Zusperren bedroht, hat sich bis jetzt jedoch als Survivor erwiesen.
Golnar Shahyar
Oder über Friedl Preisl, der den Abend als Teil des Akkordeonfestivals organisiert hat, der Wiener Bill Graham, der unermüdlich Festivals und Konzertreihen erfindet und organisiert, von wöchentlichen Kaffeehausgigs bis zu international besetzten Festivals in großen Sälen. Immer wieder ist er auch bei Auftritten lokaler Künstler zu finden, um Talente zu entdecken und sich Möglichkeiten auszudenken, für diese Talente das passende Publikum zu finden. Oder umgekehrt. Getrieben von seiner Liebe zur Musik und den KünstlerInnen, die sie praktizieren. Er ist nicht der einzige in Wien, es gibt zum Glück einige Menschen wie ihn, die - jeder auf seine Art, ob als LokalbesitzerIn, LabelbetreiberIn oder eben KonzertveranstalterIn - die Musik und die Kunst in dieser  Stadt fördern.
Laura Korhonen
Aber hauptsächlich will ich über diesen einzigartigen Konzertabend schreiben, der genaugenommen nicht ganz einzigartig war, der erste Abend im März hat es aufgrund des großen Interesses auf immerhin 2 Wiederholungen im April gebracht. Krysztof Dobrek und das Akkordeonfestival blicken auf eine lange gemeinsame Vergangenheit zurück, aber heuer wollte der Musiker eine neue Idee verwirklichen, nämlich seine Kompositionen von verschiedensprachigen Kolleginnen interpretieren zu lassen. Sofern ich es richtig verstanden haben, haben sie auch die Texte zu den ursprünglich instrumentalen Stücken jeweils selbst geschrieben. 
Sakina Teyna
Schon die Kompositionen an sich sind von den unterschiedlichsten Einflüssen - geprägt, schon der Klang des von Krysztof Dobrek virtuos gespielten Akkordeons weckt Assoziationen mit französischen Chansons oder Tango bis zur Musik des Balkans. Die Sängerinnen fügen mit ihren unterschiedlichen Sprachen - eine der kurdischen Sprachen, russisch, finnisch und persisch - , aber auch durch ihre unterschiedliche Persönlichkeiten noch zusätzliche Ebenen hinzu: Sakina Teynas volle, warme Stimme, Golnar Shahyars expressive Gestik und vokale Improvisationen, Xenia Ostrovskayas russische Leidenschaft und Laura Korhonens elfenhafter Charme und nicht nur gesangliches Temperament. Nicht zu vergessen Gina Schwarz am Kontrabass und Ingrid Oberkanins an den Drums (und am Hang), die diese Stilvielfalt begleiten und eigene Soli beisteuern. 
Xenia Ostrvskaya
Zwischen den Songs philosophiert Hr. Dobrek verschmitzt über alles Mögliche, er zieht einen Bogen von seiner Ankunft in Wien über das Waldviertel bis nach Finnland, stellt die Sängerinnen vor und erzählt uns etwas über ihre Lebensgeschichte, voller Warmherzigkeit und Humor. 

Viel zu schnell ist dieser Abend um, bei dem ich neue Künstlerinnen entdecken und schon bekannte von einer neuen Seite erleben durfte, bei dem ich eine Reise auf unbekannten musikalischen und sprachlichen Wegen machen konnte, die letztendlich alle in Wien zusammenführen und Teil dieser Stadt sind.