Jeder Künstler geht mit einer anderen Taktik an CD-Veröffentlichungen heran.
Manche halten ihre neuen Songs sorgsam unter Verschluss, bringen sie im Studio zur Perfektion, bis sie dann auf einen Schlag in die Welt gesetzt werden. Andere leben schon lange mit den Songs, haben sie schon oft live gespielt, und irgendwann ist dann eben Zeit, sie auch für die Nachwelt festzuhalten. Harlequin´s Glance gehören eher zu der zweiten Kategorie, kein Wunder, gehören sie doch zu den besten Live Bands des Landes und stellen das auch immer wieder bei ihren Konzerten unter Beweis. So kommt es, das viele der Songs der neuen CD "Pain and Ectasy" schon von vielen Auftritten bekannt sind.
Trotzdem sind sie auf CD etwas Besonderes, denn man kann es drehen, wie man will, in dieser Form werden die Songs der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Nicht einmal Bob Dylan schafft es mit seinen Bootleg-Versionen und endlosen Tourneen, bei denen er manche Songs bis zur Unkenntlichkeit verändert, die kollektive Erinnerung an die "Urversion" auf LP nachhaltig zu verändern.
Kein Wunder also, dass auch für Harlequin´s Glance die neue CD und das Releasekonzert etwas Besonderes sind. Da ist es schon mal gut zu sehen, dass der Reigen gut gefüllt ist und im Laufe des Abends immer noch neue Fans dazukommen. Eine richtige Familienfeier. Du bis ja nicht einfach nur Harlequin´s Glance Fan, du gehörst zur Familie - ja, so ein Gefühl ist das bei den Konzerten dieser Gruppe. Ich kenne sie erst seit 2-3 Jahren, bin also praktisch ein Kleinkind, wenn man bedenkt, dass es die Band - bestehend aus Gernot Feldner, Stephan Stoney Steiner, Alex Gantz, Daniel Klemmer und Martin Mixan schon rund 20 Jahre gibt. Oder vielleicht auch länger, die Anfänge verlieren sich im Nebel der Geschichte, und Gernot Feldner tut mit seinen absurd-komisch-liebenswerten Zwischenansagen alles, damit es so bleibt. Überhaupt sind die Zwischenansagen ein wesentlicher Bestandteil der Show, seine Geschichten über die Vorzüge der kostengünstigen Geschlechtsumwandlung in Polen, der Begegnung der Band mit Buddy Holly, oder einfach die Erinnerung an den großen Wetterpropheten Belcredi. Ich habe eine CD nur mit Jim Morrisons Ansagen, ohne Musik, und sowas würde ich mir hier auch wünschen, wäre wesentlich unterhaltsamer als der gute Jim.
Aber die Songs sind das Herz der ganzen Sache, und mit den Songs der neuen CDs hat die Band versucht, ihr gesamtes Spektrum abzudecken, von Balladen bis Polkas, von Beatles inspirierten Harmonien und Songenden über Byrds-Gitarren bis zu Tom Waits Soundlandschaften aus der Rain Dogs Ära. Ganz klar kommen hier die musikalischen Vorlieben der Musiker zu Tage. Eine Überraschung der CD ist für mich, dass die Songs im Studio viel weiter ausgefeilt wurden als bei den früheren Werken. Viele liebevoll platzierte Details bereichern den Sound, mal kippt ein Song in psychedelische Dimensionen, mal hämmert metallische Percussion, es finden sich Streicher, Xylophone oder eine singende Säge. Dadurch ist die CD nicht nur eine Momentaufnahme der Liveversionen, sondern ein eigenständiges Werk, und je öfter man sie hört, desto mehr Details entdeckt man.
Beim Livekonzert bestreiten sie die erste Hälfte der Show mit den Songs der neuen CD, unterstützt von Wolfgang Schöbitz und Franz Haselsteiner, die schon auf der CD mitgeholfen haben. Der letzte Song leitet aus taktischen Gründen die zweite Hälfte ein, die dann aus Band-Evergreens und Coverversionen besteht. Habe ich schon erwähnt, dass jedes Bandmitglied eine Vielzahl an Instrumenten beherrscht? Eine kleine Auswahl durften wir heute hören, statt Fake-Banjo gibt es echtes Banjo und Martin Mixan packt gegen Ende auch sein Basssaxophon aus. Selbst nach zwei Zugaben soll es noch nicht zu Ende sein, aber einmal muss es doch sein. Ich hoffe nur, dass die CD die gebührende Verbreitung findet und die große Familie weiter Zuwachs bekommt.