Dienstag, 8. Mai 2018

Die Reise geht noch weiter - Bob Dylan (heroes #4)

Einige der intensivsten Erlebnisse in meinem Leben sind auf die eine oder andere Weise mit Musik verbunden, und viele davon mit Bob Dylan. Ich habe schon oft begonnen, einen Blog Beitrag über ihn zu schreiben, aber was soll man über einen Künstler sagen, über den schon so viele Bücher und Artikel geschrieben worden sind?
Stadthalle Wien 1984

Nach dem Konzert heuer im April in Wien hat sich auf Facebook eine heftige Diskussion entwickelt, ob es nun das beste oder das schlechteste Konzert gewesen sei, das der jeweilige Verfasser gehört hat. Mir persönlich gefiel es sehr gut, aber die Diskussion hat mich zum Nachdenken gebracht über meinen Zugang zu Bob Dylan.

Mein bester Freund im Gymnasium war ein großer Bob Dylan Fan und Kenner, und er hat versucht, mich für ihn zu begeistern,  aber ich habe mich gewehrt, wollte meine eigenen Entdeckungen machen. 1984, bei meinem ersten Dylan Konzert in der Wiener Stadthalle, kannte ich gerade mal die Greatest Hits und die aktuelle Scheibe "Infidels", die damals nach der christlichen Phase ein großes Aufatmen verursacht hat. Und ich hatte Glück, Bob Dylan spielte auf dieser Tour praktisch ein Greatest Hits Programm, relativ werkgetreu, und ich war begeistert. Darum kann ich auch die Menschen verstehen, die Dylan heute das erste Mal sehen und sich vergeblich ein derartiges Konzert erhoffen. 
Stadthalle Wien 2014
Aber zum Dylan Fan bin ich erst später geworden, mit der Veröffentlichung von "Biograph". Ich weiß noch genau, die 5 LP Box war mein Weihnachtsgeschenk 1985. Als die restliche Familie bei der Christmette war, hatte ich die Wohnung für mich alleine. Ich riss die Cellophanhülle von der großen Box, bewunderte die beiden Booklets und legte die erste Scheibe auf. Es war eine eigenartige Stimmung in der Wohnung, ich war wohl auch etwas melancholisch und voller Angst - die Matura stand bevor, ich hatte keine Ahnung, was ich danach machen sollte, aber wusste, das Leben würde sich unweigerlich gewaltig ändern - und da hörte ich "Every Grain of Sand", und es war, als ob Bob - seitdem nenne ich ihn beim Vornamen - zu mir persönlich singen würde, über die Stunde seiner tiefsten Verzweiflung und über die Erkenntnis, dass - obwohl wir nur Sandkörner im Universum sind - jeder von uns seinen Zweck hat, dass kein Leben sinnlos ist. Direkter noch als die Worte und der Gesang haben seine beiden Mundharmonikasoli auf dieser Nummer zu mir gesprochen, mich zum Weinen gebracht. Das können sie heute noch.

Stadthalle Wien 2018


Das zweite einschneidende Erlebnis war dann mein nächstes Bob Dylan Konzert 1991 in Linz. Ich war schon ein ziemlicher Experte damals, hatte alle Platten und auch ein paar Bootlegs. Allerdings dauerte es mangels Youtube doch einige Zeit, bis aktuelle Aufnahmen zu hören waren. Niemand wusste damals, dass das das dritte Jahr der "Never Ending Tour" werden würde, die 1988 begonnen hatte. Die Aufnahmen aus 1988 kannte ich, GE Smith an der Gitarre war großartig, Bob spielte eine Menge Coverversionen und einen wunderbaren Akkustikteil. 1991 allerdings hatte Bob Dylan die Band - bis auf Tony Garnier, der ja bis jetzt dabei ist - gewechselt, und auch die Interpretationen seiner Songs radikal geändert. Seit damals heißt es hartnäckig, dass nicht einmal Dylan Fans seine Nummern bei seinen Live Konzerten erkennen würden, was schon längst nicht mehr stimmt. Für mich war es aber 1991 ein Schock, ich erkannte wirklich kaum einen Song wieder, die Band klang fast nach Punk, viele Songs klangen gleich, Anfänge und Enden der Nummern ergaben sich offenbar zufällig. Der Sound war auch miserabel, und die Location - eine Sporthalle oder ein Turnsaal glaube ich - war auch nicht gerade sexy. Ich wusste echt nicht, was ich da sollte, und da plötzlich spielte Bob Dylan "Shelter from the Storm", und von Strophe zu Strophe steigerte sich die Intensität seines Gesangs, er klang immer flehender, bis dann der letzte Refrain fast nur mehr ein trostloses Heulen war. Ich war danach emotional völlig fertig, wie wenn ich selber  am Hügel gesessen wäre und verzweifelt Schutz vor dem Sturm gesucht hätte, während sie um meinen Kleider würfelten.  
Seitdem habe ich Bob Dylan noch oft gesehen, in den 90er Jahren fast jedes Jahr, auch häufig in den angrenzenden Ländern. Viele schöne Erinnerungen sind mit diesen Reisen verbunden, 1992 der Trabrennplatz in Meran mit meiner Frau, 1999 wieder in Linz mit meiner Frau und dem einjährigen Sohn wartend im Hotelzimmer über dem Wienerwald-Restaurant.

Bei diesen Konzerten und auf zahllosen Liveaufnahmen suche ich nach derart intensiven Momenten, und ich finde sie, hin und wieder, wenn auch manchmal nur in einer kurzen Phrasierung, in einem Schlenker seiner Stimme vielleicht. Und wenn es gar nicht anders geht, dann höre ich mir wieder "Every Grain of Sand" an, und ich weiß, die Reise geht noch weiter. 
Stadthalle Wien 2016