Freitag, 29. Mai 2020

"Ich will mich nicht limitieren." - Mahan Mirarab im Porträt

Cafe 7Stern 2018

Mahan Mirarab war der erste, der mich im Kulturraum Neruda bei der Begrüßung umarmte. Ich war das damals nicht gewohnt und etwas überrascht, schließlich kannten wir uns kaum, aber ich fühlte mich dadurch angenommen und nicht mehr fremd, und das machte einen großen Unterschied aus. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt mir der Gedanke, dass diese Erinnerung nicht nur den Menschen, sondern auch den Musiker Mahan Mirarab gut beschreibt, denn er ist jemand, der alle durch seine Musik mit offenen Armen willkommen heißt. Das spüren nicht nur die Zuhörer*innen, sondern auch die vielen unterschiedlichen Musiker*innen, mit denen er immer wieder die Bühne teilt. Er kann im Rampenlicht stehen, er besitzt aber auch die Gabe andere scheinen zu lassen und freut sich über die vielen Impulse, die er dadurch erhält.
“Bei jeder Zusammenarbeit lerne ich sehr viel, nicht nur musikalisch. Man hat ja auch eine enge Beziehung, man lernt viele persönliche Dinge. Wie kann ich mit unterschiedlichen Menschen arbeiten? Wie kann ich Menschen, die unterschiedlich denken, in mein Leben integrieren? Das ist eine Herausforderung, aber es gefällt mir, es ist einfach schön! Ich bekomme viele Mails von Musiker*innen, die nach Wien kommen und jammen wollen, neue Musiker*innen kennenlernen. Ich freue mich immer sehr darauf, und wenn etwas Magisches passiert, mache ich weiter.”

Aus einer dieser Begegnungen entstand beispielsweise das Duo Mesh mit András Dés.

“Mit András Dés hatte ich gleich das Gefühl, dass es sich lohnt, damit weiterzumachen. Mit ihm geht es um Groove, um Rhythmus und Soundeffekte. Viele Soundeffekte! Auch mit Sakina bin ich sehr glücklich hier in Wien, wir arbeiten schon seit 3 - 4 Jahren gemeinsam, haben ein Album produziert und viele Konzerte gemeinsam gespielt. Mit Orwa Saleh in der Band ist es wieder anders, wir spielen seine Kompositionen und ich bin dort nur als Gitarrist dabei. Energetisch ist das schon angenehmer muss ich zugeben. Als Bandleader muss man auf so viele Dinge aufpassen!”
replugged 2020
Als Bandleader war Mahan Mirarab im letzten Jahr hauptsächlich mit seinem Projekt “The Persian Side of Jazz” beschäftigt, mit dem er im Herbst 2019 eine CD (The Persian Side of Jazz Vol. 2) veröfffentlichte. 

“Diese Lieder wollte ich schon sehr lange aufnehmen, aber es gab immer etwas anderes zu tun. Mit Golnar Shahyar arbeitete ich beispielsweise sehr intensiv zusammen, wir haben Alben aufgenommen, deswegen hatte ich keine Zeit für mein eigenes Projekt. Aber im Sommer 2019 erhielt ich eine Förderung für die SKE Sommerstudios, und da konnte ich endlich die Ideen aufnehmen, die ich hatte. Ich bin froh, dass das jetzt geschafft ist!  Auf dem Album und beim Releasekonzert arbeiteten zusätzlich Mehdi Aminian, Mona Matbou Riahi, Golnar Shahyar und David Six mit, aber der Kern der Band ist ein Trio: Amir Wahba, Martin Berauer und ich; Percussion, Bass und Gitarre. Wir waren im Jänner 2020 zusammen im Iran, das war eine schöne Zeit mit den beiden! Es ist ein schönes Gefühl, wenn man für die Familie und Freunde mit eigener Band spielen kann, ein Gefühl, das ich hier normalerweise nicht erlebe. In Teheran ist es jetzt viel offener als zu der Zeit, als ich mit der Musik begonnen habe. Es gibt so viele junge Musiker*innen, die Musik machen. In der Kulturszene dort passieren sehr viele kreative Dinge, ich würde gerne öfter dort sein und mit solchen Musiker*innen kollaborieren.”   
Mehdi Aminian, David Six, Golnar Shahyar, Mona Matbou Riahi,
Mahan Mirarab, Martin Berauer, Amir Wahba - Theater Akzent 2019
Die Ursprünge des Projekts reichen aber 10 Jahre zurück. “The Persian Side of Jazz Vol. 1” wurde 2010 veröffentlicht, kurz nachdem Mahan Mirarab nach Österreich gekommen war. 

“Damals unterstützte mich ein sehr guter Schlagzeuger aus Tirol, Wolfi Reiner. Robert Jukic war auch dabei, er lebt nicht mehr in Wien, war aber damals sehr aktiv in der Wiener Musikszene. Wolfi Reiner hatte ein Label, auf dem veröffentlichten wir mein erstes Album. Das war eigentlich mein Zugang zur Jazz- und Musikszene in Österreich. Oder sogar in Europa.”

Auf den Jazz stieß Mahan Mirarab durch Zufall.

“Damals war Jazzmusik im Iran nicht offiziell erlaubt. Mit Musik begann ich in der kleinen Stadt Babol im Norden des Landes, in der Nähe des kaspischen Meeres. Ich brachte mir selbst aus Büchern klassische Gitarre bei. Als ich dann vierzehn Jahre alt war und mit meiner Familie nach Teheran zog,  konnte ich schon Gitarre spielen. Damals gab es wenige Gitarristen und ich begann, mit Popmusikern und Popsängern im Iran Konzerte zu spielen. So konnte ich mit Musik neben dem Studium Geld verdienen. Nach dem Gymnasium hatte ich nämlich zwei Optionen, entweder Militärdienst oder Studium. Zu dieser Zeit gab es aber nur klassische Musikausbildung, keine zeitgenössische Musik- oder Jazzausbildung, und so bewarb ich mich für das Architekturstudium. Ich wurde angenommen und beendete es auch. 

Auf den Jazz kam ich ganz zufällig, ich hörte das Wort von Freunden in der Schule. In Teheran gab es nur einen Laden, der die Kassetten aus der Zeit vor der Revolution noch im Geschäft  aufgehoben hatte. Ich hörte, dass man dort vielleicht “Jazz” finden kann, und so war ich in diesem Geschäft und fragte den Besitzer: ”Was ist Jazz, hast du was zum Hören?” Er gab mir eine Kassette von Chick Corea. So begann ich Jazz zu hören. Die Community der Musiker*innen, die Jazz spielen wollten, war sehr klein damals, jeder kannte jeden. Wir haben uns einen Lehrer aus Armenien eingeladen, der brachte uns Jazztheorie, Improvisation und solche Dinge bei. So lernten wir alle, mit Kassetten, die wir transkribierten, von Bebop bis modernen Jazz. Das war unsere Ausbildung, unsere Kassetten und unser Lehrer.”   
Freihausviertelfest 2017
Nach dem Abschluss des Architekturstudiums kam der Gitarrist nach Wien, um sich mit seiner Musik weiterentwickeln zu können und sich eine Zukunft als Musiker aufzubauen, wofür er im Iran wenig Möglichkeiten sah. 

“Viele Musiker*innen unterstützten mich in Wien, aber ich wurde auch durch Musiker*innen aus der Jazzszene attackiert . Für viele Leute war es inakzeptabel, dass ich als Iraner Jazz spielte!  Ich konnte damals nicht gut deutsch, war ganz neu, dachte anders und sah anders aus. Ich konnte das nicht gar nicht glauben. Es war offenbar unverständlich  für Österreicher*innen, dass ich aus dem Iran komme und moderne Musik spielen will. Damals um 2009 gab es keine Musiker*innen aus unserer Region, die in der Jazzszene aktiv waren. Heute ist das zum Glück anders. Für mich ist Jazz aber nicht amerikanisch, sondern international. Ich betrachte ihn nicht einmal als Musikgenre, sondern als Philosophie.”

Wenn Mahan Mirarab auf das Thema Diskriminierung in der Musikszene zu sprechen kommt, höre ich die Bitterkeit in seiner Stimme. 

“Heute kennen mich die Leute, ich habe Alben aufgenommen und bin privilegiert, aber man muss schon darüber sprechen, was bei mir passierte. Es gibt hier immer noch Musiker*innen aus den unterschiedlichsten Regionen, die keinen Zugang zur modernen, zeitgenössischen Musikszene haben. Entweder sie machen unter dem Label “Weltmusik” Musik aus ihrer eigenen Region, oder sie haben keine Chance. Ich sehe viele Orchester, viele Big Bands, aber ich sehe kaum Leute, die nicht europäisch ausschauen. Auch in der klassischen Musik sehe ich Diskriminierung und Rassismus. Vor allem im Vergleich zu anderen Städten wie London, New York oder Berlin. Diese Städte sind viel offener, in Berlin gibt es viele Musiker*innen, die nicht einmal deutsch sprechen, aber sie spielen miteinander, sind dabei, sind involviert. Sie sind Musiker*innen und ein Teil der Szene.”

“Ich will mich nicht in eine Schublade stecken lassen, ich will unterschiedliche Sachen erleben. Zum Beispiel spiele ich immer noch ab und zu Oud, aber auch das ist nicht auf traditionelle Musik beschränkt, genauso wenig wie ich auf traditionellen Jazz beschränkt bin. Man kann schon viel lernen in diesem System, aber ich will mich nicht limitieren.”
Sakina and friends - Mahan Mirarab, Jörg Mikula, Sakina Teyna, Özgün Yarar 
Volksstimmefest 2017
“Ich könnte nicht einmal sagen, was traditionelle iranische Musik ist. “Mahan, spiel was Iranisches!” Was ist iranische Musik? Es gibt keine iranische Musik. Die Musik aus dem Norden des Irans ist anders als die aus dem Süden, Westaserbaidschan und Ostaserbaidschan haben unterschiedliche Musik. Der Iran ist eine natürliche Fusion. Nimm zum Beispiel den Südiran. Die Sprache ist eine Mischung aus Arabisch, Farsi, Indisch, Portugiesisch und afrikanischen Sprachen. Man sieht auch beim Essen, wie die Kulturen vermischt sind. Die Speisen sind etwas zwischen arabischer, türkischer, indischer und pakistanischer Küche, eine schöne tolle Mischung. Es existiert auch ein großer afrikanischer Einfluss. Die afrikanischen Iraner*innen kamen ursprünglich aus Tansania, es gab viel Handel mit Tansania und Sansibar. Leider wurden auch viele als Sklav*innen hergebracht, und die Nachkommen sind immer noch dort. Der Iran ist einfach ein diverses Land!... Teheran ist verrückt! Man hört so viele Sprachen auf der Straße, so viele unterschiedliche Religionen, offene Leute, auch Linke. Ich mag die Stadt, alle leben miteinander, das ist einfach toll.”

Mit der Bezeichnung “Weltmusik” kann der Musiker nichts anfangen.

“Was soll das sein, Weltmusik? Man kann nicht alles, was nicht Jazz und klassische Musik ist, in eine Schublade stecken. Das, was ich mit Sakina mache, ist was anderes als das, was ich im Trio mache, Musik aus Westkamerun und Rock Musik aus dem Iran sind komplett unterschiedlich, trotzdem soll das alles Weltmusik sein? Man muss schon mehr Informationen anbieten, genauer differenzieren. Viele Festivals wollen mit der Bezeichnung “Weltmusik” nur Geld verdienen, überall auf der Welt. Sie hören die Musik und die Musiker*innen, gar nicht, die sie einladen, sie haben keine Leidenschaft, begrüßen die Musiker*innen nicht einmal. Das ist das Problem, es gibt keine Gemeinschaft. Sie sagen: “Okay, wir brauchen afrikanische Musik*innen, aber eigentlich ist es egal, sie müssen nur aussehen wie Afrikaner*innen, oder wir bringen einen “Schwarzkopf”, das reicht.” Das ist einfach so, das habe ich in Österreich gesehen, das ist peinlich.”
Acoustic Diaries - Theater am Spittelberg 2019
Im Juli 2019 veranstaltete Mahan Mirarab mit “Acoustic Diaries” sein eigenes “Festival”, das mir und allen, die dabei waren, in schöner Erinnerung geblieben ist. Er lud dazu 14 Musiker*innen1, mit denen er im Lauf der Jahre in verschiedenen Projekten zusammengearbeitet hatte, zum gemeinsamen Musizieren ein, schrieb für sie Arrangements und formierte sie zu einem einzigartigen Orchester.

“Das war ein schönes Projekt! Ich schrieb die  Arrangements und musste auch dirigieren, leider. Ich kann zwar gut eine Gruppe leiten, aber ich bin kein Dirigent, das ist nicht mein Job. Ich würde gerne eine Dirigentin dafür engagieren, Yalda Zamani heißt sie, aber leider kann ich mir das nicht leisten. Wenn man genug probt, kann man schon ohne Dirigent*in spielen, aber wir haben nur zwei Tage geprobt. Deswegen musste ich selbst zwei Stücke dirigieren. Gott sei Dank haben mir Mona Matbou Riahi und Judith Ferstl geholfen. 
Heuer wollten wir das Projekt fortsetzen. Im März hätten wir einen Termin für ein Fotoshooting gehabt und wir wollten ein Video aufnehmen, aber leider mussten wir das aufgrund der Corona-Situation absagen. Alle wollten mitmachen! Normalerweise passiert es nicht, dass du für dein Konzert 14 Musiker*innen fragst und alle haben Zeit. Das war ein Zeichen für mich, dass ich das weitermachen will, weitermachen muss eigentlich! ”
Golnar & Mahan Trio feat. Amir Wahba, Schallaburg 2017
Auch andere Pläne musste der Musiker vorerst aufschieben.

“Ich habe mit Martin Bayer und Andi Tausch, zwei anderen Gitarristen in Wien ein Projekt begonnen, Julie Island. Wir haben schon ein Programm und Aufnahmen, aber das Konzert im Juni wurde abgesagt. Es gibt jedoch schon einen neuen Termin im November im 7Stern Wohnzimmer.”

Die Corona-Zeit sieht der Gitarrist nicht nur negativ.

“Ich freue mich, dass ich etwas Zeit für mich habe, ich muss nicht immer jeden Tag proben. Als Musiker ist einfach immer viel zu tun, man muss viel arbeiten, viel schleppen, immer fit sein und immer üben. Für unsere Übungen zahlt uns niemand, wir machen das umsonst, sogar für viele Proben werden wir nicht bezahlt! Jetzt kann ich richtig frühstücken, Mittag essen, ich habe Zeit und keine Eile. Ein paar Aufträge habe ich als Produzent bekommen, damit beschäftige ich mich zu Hause. Finanziell kann ich mich damit über Wasser halten. Ich komme auch dazu, etwas zu experimentieren: Ich habe ein Lied auf Instagram gepostet und wer Lust hatte, konnte dazuspielen und mir die Videos schicken. Jetzt habe ich über 20 Videos bekommen, und ich arbeite daran, alles zusammenzustellen. Ja, es gibt schon positive Dinge!” 
  
Ein Projekt, das während der Corona-Zeit begonnen wurde, liegt Mahan Mirarab besonders am Herzen:

“Ich freue mich, dass wir die Plattform Seda-Collective gegründet haben, das wird fortgesetzt. Wir veranstalten Online Konzerte, wir produzieren und laden neue Leute ein. Eine Episode war bereits online, im nächsten Schritt wollen wir den Schwerpunkt auf noch mehr Kollaborationen legen. Wir haben viele Pläne, jüngere Musiker*innen oder Künstler*innen einzuladen. Auch wenn unser Fokus auf iranischer zeitgenössischer Musik liegt, ist es egal, woher die Musiker*innen kommen. Wir sind offen für alles, was auch offen ist.”   
replugged 2020

1Basma Jabr, Orwa Saleh, Golnar Shahyar, Sakina Teyna, Efe Turumtay, Mohammad Khodadadi, Mona Matbou Riahi, Mehdi Aminian, András Dés, Emily Stewart, Rina Kaçinari, Judith Ferstl, Matthias Loibner, Romed Hopfgartner (fehlte 2019)