Donnerstag, 14. Mai 2020

“Probieren wir es einfach!” - Udo Felizeter: Eine Idee und ihre Folgen

Udo Felizeter Karlsplatz 2019
Udo Felizeter Karlsplatz 2019

Als zwei Freunde im Sommer 2015 von einer großen Fahrradtour durch das Baltikum, Weißrussland, die Ukraine und Polen nach Österreich zurückkehrten, brachten sie nicht nur Erinnerungen, sondern auch eine Idee mit. Dass aus dieser Idee die Gründung einer Musikschule für Geflüchtete und sozial Benachteiligte mit bereits 185 Schüler*innen im fünften Semester, die Organisation und Betreuung von bis zu 4 frei zugänglichen Pianos gleichzeitig in verschiedenen europäischen Städten und ein geheimes Konzert vor tausend Zuschauer*innen am Karlsplatz  entstehen würde, ahnte damals keiner der beiden. 
Ich hatte Gelegenheit, mit Udo Felizeter, einem der beiden Gründer von “Open Pianos for Refugees” und des Musikinstituts “DoReMi”, ein Gespräch zu führen. Meine erste Begegnung mit dem offen zugänglichen Konzertflügel geschah im Herbst 2017 im historischen Raimundhof. Das Klavier war damals vier Tage in der ruhigen und romantischen Passage aufgestellt, jede und jeder durfte spontan spielen oder zuhören. Um den weißen Konzertflügel - schon optisch eine edle Erscheinung - hatte sich ein Kreis an Zuhörer*innen gebildet, und immer wieder stand jemand auf und spielte ein Stück am Klavier. Erstaunlich und eigentlich schön, wie viele Menschen zumindest die Grundlagen des Instruments beherrschen. An diesem Abend fanden dann noch geplante Auftritte von Künstler*innen wie Basma Jabr und Orwa Saleh, Elnaz Miabinezhad und Saeid Borna sowie Lylit statt. Der warme Klang des unverstärkten Pianos kam in dem geschlossenen Hof wunderbar zur Geltung, die Zuhörer*innen waren leise und aufmerksam, sogar die leisen Klänge der Oud waren gut zu hören. 
Saeid Borna Raimundhof 2017

Genauso muss es Udo Felizeter und seinem Freund Nico Schwendinger gegangen sein, als sie im Sommer 2015 in Lwiw und Kiew aus heiterem Himmel auf so ein frei zugängliches Instrument stießen.

“Die Musik hatte schon immer einen hohen Stellenwert für mich. Mit 6 Jahren begann ich in Bregenz Gitarre zu lernen, ein oder zwei Jahre später kam dann Klavierunterricht dazu. Ich muss zugeben, ich legte pubertierende Übungspausen ein und ging teilweise ohne zu üben in die Stunden. Oft quatschten wir dann nur, aber trotzdem hatte es immer mit Musik zu tun und ich blieb dabei. Den Gitarrenunterricht beendete ich mit neunzehn, als ich nach Wien zog, aber die Leidenschaft zum Klavierspielen hat sich wieder entfacht und ich nahm auch noch beim Jazz Pianisten Peter Ponger Klavierunterricht. Musik war schon immer ein beruhigendes Mittel für mich.”
Lylit Raimundhof 2017

Kein Wunder, dass die frei zugänglichen Pianinos auf Udo eine große Faszination ausübten, wenn auch nicht unbedingt musikalisch.

“Die Instrumente waren in einem schlechten Zustand und komplett verstimmt. Obwohl das Spielen darauf eigentlich keinen Spaß machte, saß ich nach 1 ½ Monaten Fahrradtour ohne Möglichkeit zum Musizieren doch sehr begeistert am Klavier. Dieses Gefühl “Ich bin jetzt gerade auf Reisen, ich seh´ da ein Klavier und setz´mich hin” hat Nico und mich so euphorisiert, dass wir dieses Erlebnis auch anderen ermöglichen wollten.”

Im nächsten Sommer war es dann soweit. Bei einer Demo stellten die beiden für 4 Tage ein Klavier auf, allerdings spielte nun auch eine zweite Überlegung eine große Rolle.

“Im Sommer, als wir auf Fahrradtour waren, bekamen wir den ganzen Trubel um die Geflüchteten in Wien gar nicht so mit, aber danach natürlich. Ich betreute über ein Lernbuddy Programm ein tschetschenisches Kind in einem Geflüchtetenheim, da bekam ich viele der Probleme mit. Wir sind jetzt - 6 Jahre später - immer noch in Kontakt und ich unterstütze ihn, wo ich kann. Das war jedenfalls glaube ich damals ausschlaggebend, dass wir an “Open Piano” noch “for Refugees” anhängten. Wir wollten dem Ganzen zusätzlich einen sozialen Sinn geben. Die Kombination dieser beiden Gedanken hebt den Mehrwert des Klavierspielens an unserem Open Piano schon noch einmal in die Höhe, weil dann jede Person, die am Klavier sitzt, in gewisser Weise für den sozialen Zweck spielt.”   

Gleich der erste Versuch war ein so großer Erfolg für “Open Piano for Refugees”, dass Udo und Nico die Aktion sofort wiederholten und erweiterten.
KIANN Bahnhof Floridsdorf 2019

“Ich schaute auf den Bodensee und dachte: Warum nicht Bregenz? Probieren wir es halt einmal! Auch das funktionierte, wir platzierten rund um den Bodensee noch ein paar Klaviere, und später auch in Graz.  Bald fanden sich paar Stammleute, die uns halfen. Nach dem Sommer stieß Barbara Plank dazu, und wir schupften das Ganze zu dritt. Die Aktion bekam eine richtige Dynamik, der ORF filmte uns und berichtete, Zeitungen schrieben über “Open Piano”. Wir bemerkten, was das für schöne Momente bei ganz vielen Menschen auslöst, und was sich da schon im ersten Sommer für eine Community drum herum bildete. Ganz klar, wir mussten unbedingt weiter machen! Viele aus dem Betreuerteam aus der Anfangszeit sind heute noch immer Klavierbetreuer*innen, sie sind noch immer dabei und engagiert.”

Allerdings stellte sich dem Team langsam ein Problem:

“Wir hatten so viele Spenden gesammelt, dass wir uns schön langsam damit beschäftigen mussten, eine Empfängerin oder einen Empfänger dafür zu finden. Wir konnten nicht die ganze Zeit Spenden einsammeln und sie dann nicht an ein Musikprojekt mit Geflüchteten spenden, wie es eigentlich unser Ziel war!  Es gab viele Projekte im Sportbereich, aber wir wollten Musik als Mittel der Begegnung fördern. Wir fanden schließlich ein Projekt, dem spendeten wir tatsächlich 2.000,-- Euro, aber nach einem Monat existierte es nicht mehr. Wie sollten wir eruieren, wie gut eigentlich ein anderes Projekt ist, ob es genauso engagiert wie wir bei der Sache ist oder möglicherweise Mist baut? Es half alles nichts, wir mussten die Sache selbst in die Hand nehmen!”
Elnaz Miabinezhad, Saeid Borna und Amirkasra Zandian Museumsquartier 2019

Im Herbst 2016  wurde der Verein “Open Pianos for Refugees” gegründet, der die “Piano School for Refugees” im Musischen Zentrum Wien startete. Zu Beginn gab es nur zwei Lehrer*innen, Udo selbst war einer davon.

“Wir hatten ca. 20 Schüler*innen, was schon ganz cool war. Damals boten wir Solounterricht für 30 oder 50 Minuten an. Manchmal legten wir zwar den Unterricht zusammen, aber das geschah eher zufällig. So lief es ca. ein Jahr lang, dann kam der nächste Sommer und wir expandierten ordentlich mit den Open Pianos, und es war dann halt auch entsprechend viel Geld da. Damit wagten wir den nächsten Schritt und gründeten im März 2018 unser Musikinstitut “DoReMi”.”

Neben dem Ziel, einen leistbaren Musikunterricht für alle anzubieten - jede Schülerin und jeder Schüler zahlt so viel er oder sie kann - ist das spielerische Erlernen der deutschen Sprache und die Ermöglichung von Begegnungen zwischen unterschiedlichen Kulturen zu einem wahren Kulturaustausch ein Anliegen der Gründer*innen des Instituts. Um das Konzept “Zahl so viel du kannst” umsetzen zu können, versuchen die Musikschulbetreiber*innen mit Erfolg, sowohl sozial benachteiligte Menschen als auch Einkommensstärkere als Schüler*innen zu gewinnen. Ein besonderes Markenzeichen von “DoReMi” ist der Paarunterricht, der ohne großen theoretischen Background einfach durch praktische Überlegungen entstand und beibehalten wurde.
Udo Felizeter Raimundhof 2017

“Es war uns wichtig, dass sich Geflüchtete und österreichische Personen kennenlernen, und wir sagten uns, die beste Möglichkeit dafür  ist doch, wenn sie gemeinsam Unterricht erhalten, auf Deutsch, möglicherweise auch mit migrierter Lehrerin oder migriertem Lehrer. Probieren wir das mal aus!  Das Feedback, das wir von den Schüler*innen für den Paarunterricht bekamen, war durchwegs positiv. Musikalisch geht vielleicht im Einzelunterricht mehr weiter, aber im Paarunterricht geht es um mehr als das. Wir haben gerade eine Befragung im Rahmen des Qualitätsmanagements durchgeführt und ca. 90% der Schüler*innen finden den Unterricht zu zweit genial, das sagt schon was aus!”
Orwa Saleh, Basma Jabr, Judith Ferstl, Sebastian Simsa MQ 2019

Bis zur Gründung des Musikinstituts arbeiteten alle auf ehrenamtlicher Basis.

“Wir rissen uns ohne Bezahlung den Arsch auf. Mir halfen meine Eltern bei Miete und Essen, die anderen beiden arbeiteten nebenher. Ich investierte 40, 50 Stunden in der Woche ehrenamtlich in das Projekt, und das über einen Zeitraum von 2 ½ Jahren. Im November 2018 hatte ich dann endlich meinen ersten Gehaltszettel von Open Piano in der Hand! Ich bin jetzt freier Dienstnehmer, es ist nicht großartig viel, aber hält mich am Leben. Babsi, Nico und viele andere auch arbeiten immer noch sehr viel ehrenamtlich. Trotzdem ist so viel zu erledigen, dass wir jemand ins Team holen mussten, zuerst Lena, jetzt  Kathrin, die wie ich und die Lehrer*innen freie Dienstnehmer*innen sind. Im Vergleich zu anderen Musikschulen brauchen wir uns mit unserem Gehalt für die Lehrer*innen nicht zu verstecken, habe ich mir sagen lassen.” 

Natürlich werden auch weiterhin Klaviere aufgestellt. Udo Felizeter selbst kann nicht mehr überall dabei sein, gibt er zu. Er klingt dabei etwas traurig.

“Im ersten Sommer war ich bei jedem Standort dabei, im zweiten Sommer besuchte ich zumindest alle unsere Plätze einmal, aber jetzt haben wir mittlerweile schon bis zu 4 Standorte gleichzeitig - Wien, Münster, Innsbruck und Salzburg zum Beispiel, da können wir leider gar nicht überall dabei sein. Zehn bis fünfzehn engagierte Betreuer*innen betreuen für uns 4 Tage lang die Klaviere, sie fahren herum oder wohnen sogar in den einzelnen Städten. Es macht ihnen Spaß, sie können den ganzen Tag Klavier spielen und mit den Leuten palavern, das ist halt schon lässig.”

Futurelove Museumsquartier 2018

Die Zusammenarbeit mit Klavierhändler*innen und Städten klappt gut, aber es gibt Ausnahmen. 

“Wir kooperieren jetzt mit ca. 15. Klavierhäusern, die uns die Flügel überlassen. In der Regel schaue ich mich mal um in Städten, die in Frage kommen, ob es dort irgendwelche guten Plätze gibt. Bevor ich dann um Genehmigung ansuche, frage ich bei den Musikhäusern, ob wir überhaupt einen Flügel bekommen würden. Wenn ja, holen wir uns eine Genehmigung ein und organisieren den Rest. Normalerweise sind die Genehmigungen kein Problem, aber in manchen Städten ist es schwierig. Regensburg lehnte gleich ab. Frankfurt genehmigte uns zweimal, aber beim zweiten Mal haben sie reingeschrieben, wir sollen bei unserer nächsten Tourplanung einen Bogen um Frankfurt machen, sie wollen das Projekt nicht. Okay, passt, dann nicht. Wir stellen unser Klavier meistens an ruhigeren Plätze in Fußgängerzonen auf, wo die Leute vielleicht vorbeigehen, wenn sie frei haben. Oder an Kulturorten, wo sie gerne verweilen. In Wien, Salzburg und Bregenz funktioniert das sehr gut. In Dortmund fanden wir einen idealen Standort, glaubten wir zumindest, aber es interessierte sich kein Schwein für dieses Klavier! Es spielten gerade mal 4 Leute an diesen 4 - 5 Tagen, und auf ähnlichen Plätzen in Salzburg spielen am Tag 25 - 30 Leute. In Düsseldorf und Münster - gleich neben Dortmund - lief es hingegen super. Es ist wirklich spannend, du kannst nie vorhersagen, wie unser Angebot ankommt, du musst es einfach ausprobieren.”

Für Überraschungen sind Udo und sein Team immer gut, es fehlt ihnen nicht an kreativen Ideen. Dass sie im Herbst 2019 jedoch ein Konzert und eine nachfolgende “Open Piano Tournee” auf die Beine stellen würden, hätten sie wohl selber nicht erwartet. Ich höre es Udo direkt an, dass er sich noch immer ungläubig die Augen reibt, wenn er davon erzählt. 
Udo Felizeter Barbara Plank Karlsplatz 2019

“Meine Freundin las im Urlaub Amanda Palmers Buch “The Art of Asking” und meinte, die Sängerin müsse ich mal fragen, die mache sicher bei uns mit. Ich kannte Amanda Palmer zuerst nicht und hörte mir mal ihre Musik an, und die Idee gefiel mir. Tatsächlich war bereits im September ein Auftritt von Amanda Palmer im Konzerthaus angekündigt. Ich schrieb einmal dem Management, und schon am nächsten Tag antworteten sie: “Tell us more, how would you do it?” Darauf war ich aus dem Häuschen: “Die sind wirklich interessiert!” Wir schrieben unsere Vorstellungen zusammen, wir würden einen Platz suchen, möglichst in der Nähe des Konzerthauses, am besten am Nachmittag vor dem Soundcheck, und wir würden alles geheim halten. Sie fanden das cool und wir machten uns an die Arbeit. Eine Woche vor dem Termin teilte das Management uns plötzlich mit, wir dürften das Konzert jetzt doch drei Tage vorher ankündigen, aber “No Press, no Media”. Wir stellten das Facebook-Event drei Tage vor dem Termin in Abstimmung mit Amanda Palmer online. Kaum zwei Stunden später berichtete schon FM4 darüber und am nächsten Tag stand in allen Zeitungen, dass Amanda bei “Open Piano for Refugees” am Karlsplatz ein Konzert geben werde. Das mit “No Press, no Media” hat nicht so gut funktioniert! Der Auftritt war ein voller Erfolg, es kamen an die tausend Zuschauer*innen. Ich holte Amanda mit dem Lastenfahrrad ab und chauffierte sie - auf der Plattform stehend - zum Klavier. Wir besorgten rote Chrysanthemen für sie, ihre Lieblingsblumen. Es gefiel ihr so gut, dass sie vorschlug: “Come with me on tour!” Wir sollten so viele Städte wie möglich organisieren, wo man Open Pianos aufstellen kann! Wenn so ein cooler Mensch dich einlädt, dann musst du das einfach machen! Nach Hamburg wollten wir aufhören, aber Amanda wollte unbedingt weitermachen, und so hängten wir noch Stockholm und Kopenhagen dran. Das war schon aufregend, das erste Mal unser Open Piano außerhalb des deutschsprachigen Raums. Für heuer im Sommer hätten wir auch schon Zusagen einiger bekannter Bands, aber jetzt mit Corona müssen wir das wohl auf nächstes Jahr verschieben.”
Amanda Palmer Karlsplatz 2019

Die Coronazeit meisterte das Musikinstitut “DoReMi” mit online Unterricht bis jetzt ganz gut, aber glücklich ist Udo damit nicht.

“Als Überbrückung ist es akzeptabel, wir haben zumindest eine Möglichkeit gefunden, dass die Schüler*innen ihre Stunden absolvieren können. Es kommt darauf an, wieviel Aufwand man betreibt, manche Lehrer*innen arbeiten mit zwei Kameras, da sieht man die Hände genau und am anderen Screen den Körper. Aber es freut sich sicher jeder, wenn wir wieder öffnen können!"

Auch in dieser Krisenzeit hat sich gezeigt, dass “DoReMi” mittlerweile in der Musikschullandschaft in Wien etabliert ist, die Zusammenarbeit mit den anderen Musikschulen funktioniert gut. 
 
“Wir sind im Musikschulnetzwerk integriert und unterstützen uns gegenseitig. Die Musikschulen kennen uns größtenteils. Man hilft sich einfach, wir haben den anderen Schulen auch angeboten, Schüler*innen mit einkommensschwachem Hintergrund, die sie nicht aufnehmen können, zu uns zu schicken. Wir freuen uns, dass wir als Musikinstitut anerkannt sind.”
Udo Felizeter Semesterabschlussabend DoReMi 2020
 
Ich war natürlich neugierig und besuchte heuer im Februar einen Semesterabschlussabend des Instituts - einen von drei Abschlussabenden, denn die Zahl der auftretenden Schüler*innen ist so groß, dass ein Abend zu kurz dafür wäre. Die Vielfalt der unterrichteten Instrumente ist erstaunlich; derzeit werden Klavier, Oud, Gitarre, Geige, Saz, Orientalische Percussion, Orientalischer Gesang, Pop/Jazzgesang, Chor, Klarinette und Querflöte unterrichtet. Die Schüler*innen, Lehrer*inne und Zuschauer*innen sind mit Liebe und  Begeisterung dabei. Auch Udo Felizeter selbst ist Schüler an der Oud, sein Lehrer Orwa Saleh verrät, dass der Musikschulleiter große Fortschritte macht. Ohne zu Üben in den Unterricht zu kommen ist für ihn offenbar keine Option mehr.