Samstag, 10. Juni 2017

Musik und Menschen: Saisonabschluß der Worldmusic Sessions - Kulturraum Neruda, 8.6.2017


Als ich am Donnerstag in die Margaretenstraße einbiege und das mittlerweile vertraute rote Logo des Kulturraums Neruda sehe, denke ich an meinen ersten Besuch hier vor gerade eineinhalb Jahre zurück.
Ich wollte damals Özlem Bulut mit ihrer Band sehen, hatte aber wenig Ahnung, was mich bei den Worldmusic Sessions erwarten würde. Dank meiner Jugendhelden Sting und Peter Gabriel und deren Vorliebe für Musiker aus aller Welt hatte ich eine vage Vorstellung davon, dass außer der vertrauten Rock-, Folk- und Popmusik noch eine ganz andere, bunte und vielfältige Musikwelt existiert. Man kann vom Engagement dieser und andere westlicher Künstler halten was man will, aber bei mir hat sich etwas davon im Unterbewusstsein festgesetzt und meine Neugier geweckt, bis eben der richtige Zeitpunkt da war. Trotzdem war ich schüchtern und unsicher und ich drehte vorher drei Runden um den Häuserblock, bevor ich mich schließlich doch hineinwagte.

Heute möchte ich gar nicht daran denken, was ich alles versäumt hätte, hätte ich damals wieder umgedreht!

Weltmusik - in diesem Fall passt diese Bezeichnung sogar, dann hier im Neruda kann man wirklich Musik aus der ganzen Welt hören. Manchmal an einem Abend! Die MusikerInnen, ob sie in Wien leben oder auf der Durchreise sind, stammen aus allen Kontinenten, und bringen ihre Traditionen, ihre Kunst und auch ihre Instrumente mit, Instrumente, die ich teilweise noch nie gesehen habe, von denen ich nicht einmal gewusst habe, dass es sie gibt - diverse Flötenarten, Streichinstrumente, Percussion, Sitar... Das Besonderes hier ist aber, dass die KünstlerInnen nicht nur ein Konzert geben - das passiert im ersten Teil des Abends - sondern zu einer Session zusammenkommen und gemeinsam spielen. Beim ersten  Mal war ich überrascht, als ein Großteil der ZuseherInnen plötzlich Instrumente in den Händen hielten und zu musizieren begannen!

Mittlerweile weiß ich schon, was in den runden und eckigen, kleinen und großen Koffern drin ist, die die Gäste mitbringen. Und wer kein Instrument dabei hat, ist mit großer Wahrscheinlichkeit SängerIn.
Aber auch für Leute wie mich bleibt es nicht beim Zuhören, zu mitreißend sind die Melodien und die Rhythmen, als dass ich nicht klatschen oder singen würde. Gerade bei den Sessions entwickelt sich eine Dynamik, die niemand unbeteiligt lässt. Leise Melodiefiguren werden zu komplexen Solundcollagen, Rhythmen werden gewechselt und ineinander verschachtelt, die SängerInnen wechseln von klassischen Liedelementen über ekstatische Improvisationen zu Call and Responsegesang. Und das über eine Stunde lang ohne Pause mit fliegendem Wechsel der Musikerinnen. Der Soundtechniker saust dazwischen mit den Kabeln umher, um alle mit der notwendigen Verstärkung zu versorgen.

Dass das alles nicht zum totalen Chaos führt, ist einerseits den MusikerInnen zu verdanken, die sich nicht in den Vordergrund spielen, sondern sich aufmerksam zuhören, aufeinander reagieren und sich Raum lassen, andererseits und hauptsächlich auf Mahan Mirarab, der die Sessions leitet. Und das nicht nur heute, sondern jeden Donnerstag seit September.  Ich beobachte ihn gerne, wie er konzentriert zuhört und wartet, wie sich die Musik entwickelt. Hört er ein Element, ob rhythmisch oder melodisch, das er für ausbaufähig hält, dann gibt er Handzeichen und die MusikerInnen reagieren sofort darauf, entwickeln dieses Element weiter, bauen es aus. Wie ein Dirigent gibt Mahan Mirarab an, ob er ein Gitarrensolo hören will, welche Instrumente lauter oder leiser spielen spielen sollen. Da sich die meisten Musikerinnen gut kennen, benötigt er nur dezente Hinweise, aber manchmal muss er auch energisch ausholend dirigieren. Auf diese Art entstehen einmalige Musikstücke; Kunstwerke, die unwiederholbar sind.

Jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt, um die MusikerInnen dieses besonderen Abends vorzustellen - einige sind in vergangenen Einträgen schon vorgekommen - , oder den Gründer des Lokals, aber die ideale Länge des Blogbeitrags ist längst überschritten. Außerdem brauche ja auch noch Stoff für zukünftige Blogeinträge.

Eines ist sicher, ich werde auch in der nächsten Saison wieder vorbeischauen, und nicht nur wegen der Musik: Es sind die herzlichen Menschen und die offene Atmosphäre hier, die mich immer wieder gerne ins Neruda kommen lassen.