Montag, 3. Oktober 2016

DVD Tipp "All Things must pass" - Aufstieg und Fall von Tower Records

Tower Records - das war der Platten und CD-Himmel für mich in London! In Wien gab es die beiden Carolas, die Plattenabteilungen der Kaufhäuser, den Flohmarkt und die Second Hand Geschäfte. Den EMI-Shop gab es auch schon und auch vis-a-vis in der Kärnter Straße war ein Plattengeschäft, auch Meki und Hannibal. Aber nichts annähernd in dieser Größe und mit dieser Auswahl!  Virgin war bei uns noch weit und breit nicht zu sehen. Als ich das erste Mal nach London kam, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf: Virgin, HMV und eben Tower Records - neben den unzähligen kleinen Geschäften in den Seitenstraßen der Oxford Street natürlich. Ich glaube, eines der gelben Sackerl habe ich noch irgendwo im Kasten.


Die europäischen Geschäfte waren aber nur ein Ableger des amerikanischen Muttergeschäftes von Tower Records - Konzern möchte ich gar nicht sagen, das wurde er erst später. In dieser Dokumentation, auf die ich zufällig gestoßen bin,  wird die Geschichte von Tower Records mit den Worten der Gründer und Mitarbeiter erzählt, vor allem von Urvater Ross Solomon, aufgepeppt mit Erinnerungen von Dave Grohl, Bruce Springsteen und Elton John. Die meiste Zeit herrscht ein positiver, nostalgischer Ton vor. Und tatsächlich ist so eine Story wahrscheinlich nur in den Staaten möglich, bei uns würde Ross vermutlich schon an den notwendigen Berechtigungen scheitern. 

Was sehr schön rüberkommt, ist die Begeisterung aller Beteiligten für Musik, für Musiker und für Platten. Die Bedeutung der Schallplatten, der Musik für die Jugendlichen damals wird schön herausgearbeitet.  Die Musiker wiederum erzählen, dass sie sich - egal wo sie auf der Welt waren - im Tower Record Store zu Hause gefühlt haben. Die Belegschaft zumindest der ersten Geschäfte fühlte sich wie eine große Familie, feierten Parties, vom Geschäft hatten die meisten wohl eher wenig Ahnung. Aber das war egal in der ersten Euphorie, ein Geschäft nach dem anderen wurde eröffnet, und die Menschen in den Städten warteten offenbar schon darauf, die Läden stürmen zu können. Mit MTV und dem Aufkommen der CDs steigerte sich die Euphorie nochmal. 

Mag sein, dass hier viel nostalgische Verklärung mitspielt, und als das Ende schon absehbar ist, wird deutlich, dass nicht alles so harmonisch war, wie es den Anschein hatte, und die "Familie" ist sicher nicht in Freundschaft auseinander gegangen.

Natürlich wird auch die Krise der Schallplattenindustrie behandelt, die Unterschätzung des Internets, die viel zu späten Reaktionen. (ACHTUNG SPOILER:  Hier ist auch die Stelle, die mich am meisten berührt hat: Als ein Chef einer großen Abteilung eines Musikkonzerns zuerst locker über seine Kontakte und Erfolge erzählt, aber ins Stocken gerät, als er schildert. wie er -  plötzlich ohne Job, ohne Bedeutung, ohne Aufgabe - von Tower Records Gründer Ross Solomon zur Weihnachtsfeier im engen Kreis eingeladen wurde, und wie viel ihm das bedeutete. Da versagen ihm die Worte, er bleibt lange stumm und muss sichtlich mit den Tränen kämpfen - ein Moment der Wahrheit.)

Letztendlich war es nicht nur das Internet, das zum Zerfall von Tower-Records geführt hat, es war wohl von Anfang an wie ein großes Pyramidenspiel, was aber nicht einmal der Gründer durchschaut hat. Als keine Expansion mehr möglich war, fiel alles in sich zusammen. 

Diese Zeit kommt nicht wieder, aber schön, dass es sie gegeben hat. 

("All Things must pass" - A Filmby Colin Hanks, 93 min, Universal Pictures 2015)