Samstag, 26. November 2016

Durch das Vergrößerungsglas - Mara Kolibri Quintett im Tunnel, 24.11.2016



Im Tunnel habe ich schon vor dreißig Jahren viele Abende verbracht, und trotz mehrmaliger Betreiberwechsel fühlt es sich noch immer so an wie damals. Vielleicht haben sich Details verändert, aber es gibt noch immer die hölzerne Treppe hinauf in die Galerie, die schweren, dunklen Tische, Chili Con Carne und natürlich die Live-Musik im Keller mit den unverputzten Ziegelwänden. 


Schon seit Tagen freue ich mich auf das Konzert vom Mara Kolibri Quintett, erstens prinzipiell und zweitens weil ich weiß, was mich erwartet: Zwei Stunden mit einer vor Energie und Ideen sprühenden Sängerin, begleitet von einer Band, die diese Ideen mit traumwandlerischer Sicherheit mit Leben erfüllt.

Ich habe Mara Kolibri schon in einigen - längst nicht allen - ihrer musikalischen Projekte miterlebt, das Quintett konnte ich im Sommer regenbedingt nur kurz genießen. Was ihren Projekten gemeinsam ist, ist der hohe Anteil an Improvisation und Spontanität, das geht sogar so weit, dass der Zuhörer überhaupt nicht weiß, was ihn erwarten wird. Freie Improvisation, mit der Stimme, mit dem Körper und mit allem, was der Moment bietet.

Heute bewegt sie sich im Vergleich dazu im Rahmen dessen, was ich als modernen Jazz bezeichnen würde, Songs, die alle aus Mara Kolibris Feder stammen, mit ausreichend Gelegenheit zur Improvisation. 

Diese Kompositionen haben es in sich, sie wirken wie ein Vergrößerungsglas, durch das wir plötzlich staunend die vielen kleinen Wunder erkennen, die sich um uns abspielen: Der Klang des Regens, der gegen das Fenster trommelt, der Unmut beim erzwungenen frühen Aufstehen, ein frischer Lufthauch - es ist eigentlich nichts zu unbedeutend, um Mara Kolibri nicht als Inspiration für einen Song zu dienen. Manchmal heißen die Songs einfach nach den Tagen, an denen sie entstanden sind, wie die Künstlerin erzählt. Im Lied "Give It To The Spirit" fasst sie ihre Philosophie zusammen, das Vertrauen in den Moment und in die eigenen Kräfte und Fähigkeiten.  Schließlich feiert sie in zwei Kompositionen auch musikalische Vorbilder wie Thelonious Monk oder das E.S.T. Das alles verarbeitet sie zu Kompositionen, die bei aller rhythmischen und melodiösen Komplexität organisch und unmittelbar zugänglich sind. 

Natürlich fehlen die Improvisationen nicht. Die Sängerin verwendet ihre Stimme dabei wie ein Instrument, ein vielseitiges Instrument, das Töne und Geräusche erzeugen kann, vom leisen Flüstern bis zum verärgerten Knurren - ja, wenn sie zu früh geweckt wurde. Worte braucht sie dazu häufig gar nicht.

Ihre Band ist ganz auf ihrer Linie und erfüllt die Kompositionen mit Leben. Julia Schreitl an den Saxophonen, Gerhard Buchegger am Piano und Andrea Fränzel am Kontrabass gelingen gefühlvolle Soli, Sebastian Schwarz am Schlagzeug sorgt verlässlich und varianten reich für die Basis. 


Nach zwei Sets mit kurzer Pause ist das Konzert viel zu früh zu Ende, draußen empfängt mich ein Nieselregen, und ich frage mich, was Mara Kolibri wohl daraus für einen Song machen wird.